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Freiheit ist nicht selbstverständlich

Persönliche Freiheit und Selbstbestimmung ist in unserem Alltag normal – dass das nicht überall und für alle so ist, zeigt ein Blick in die Realität von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in der Republik Moldau.

Von MMagª Katharina Auer am | Aus den Projekten , Inklusion & Menschenrechte
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MMagª Katharina Auer
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Oleg beim Küchendienst. Foto: Hope and Health

Oleg beim Küchendienst im Tageszentrum von Hope and Health.

Die Brüder Oleg (33) und Dima (35) kommen seit 2006 regelmäßig ins Tageszentrum der moldauischen NGO Hope and Health in Chişinău. Sie nehmen an Kunsttherapien und Musikkursen teil, an Ausflügen und der gemeinsamen Gestaltung des Gartens. Seit zwei Jahren sind sie auch als Küchengehilfen angestellt und verdienen so ein kleines Einkommen. Bei Hope and Health treffen sie täglich ihre Freunde und fühlen sich in der Gruppe von rund 30 Menschen, die regelmäßig ins Zentrum kommen, wohl. Auch das Hope and Health Team ist Familie geworden. Oleg hat seine Freundin bzw. zukünftige Frau Michaela im Zentrum kennengelernt.

Die Sicherheit und Stabilität, Freundschaft und Wertschätzung, die sie hier erleben, ist deshalb so wichtig, weil in Moldau – wie in vielen anderen Ländern auch – Menschen mit geistiger Beeinträchtigung stark diskriminiert werden. Viele der Eltern erzählen, wie schwer es ist, wenn ihre Kinder im Bus und auf der Straße schief angeschaut oder sogar verbal oder körperlich angegriffen werden. Auch Eleonora, die Mutter von Oleg und Dima, meint, dass sie zwar nur eine sehr kleine Wohnung hat, aber trotzdem nicht umziehen möchte, weil die Nachbarn ihre Söhne bereits gut kennen und respektieren.

Moldau hat die UN Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung (UNCRPD) ratifiziert und mit dem Nationalen Programm für Integration von Menschen mit Behinderung (2017-2020) einen wichtigen Schritt gesetzt, um diese in nationale Gesetzgebung umzusetzen. Das Programm erkennt die Rechte und Entscheidungsfreiheit von Menschen mit Behinderung an. De facto aber fehlt für viele Maßnahmen die Finanzierung. So wurden psychiatrische Kliniken zwar geschlossen, ohne aber alternative, gemeinschaftsbasierte Strukturen, wie Tageszentren, mobile Betreuung oder Unterstützung am Arbeitsplatz zu schaffen. Hope and Health ist das einzige Tageszentrum für Erwachsene mit geistigen Beeinträchtigungen in ganz Moldau – bei einer geschätzten (!) Zahl von 30.000 Betroffenen.

So sind viele Menschen weiterhin in psychiatrischen Kliniken, obwohl andere Strukturen ihnen viel besser ermöglichen würden, ein selbständiges Leben zu führen. Auch die Mutter von Oleg und Dima hat ihre Söhne – bevor sie zu Hope and Health kamen – regelmäßig in die psychiatrische Klinik eingewiesen, da sie selbst arbeitet und sich nicht um die Sicherheit ihrer Söhne kümmern konnte. Oleg und Dima sind regelmäßig „gereist“ und tageweise verschwunden – mit dem nächsten Bus in eine andere Stadt oder Region von Moldau. Da waren sie, besonders im Winter, in der Klinik sicherer.

Was für ein Unterschied zu heute, wo die Brüder selbständig ins Zentrum kommen, aktiv teilnehmen und ihr soziales Umfeld in diesem Rahmen unterstützend ist. Würde die UN Konvention ernst genommen, gäbe es solche Angebote für alle Menschen, die dies benötigen. Und Bemühungen, die Mehrheits-Gesellschaft dahingehend zu verändern, dass persönliche Freiheit und Selbstbestimmung aller Menschen selbstverständlich sind.